Sehr geehrter Herr Bürgermeister, Herr Erster Stadtrat, meine Damen und Herren,
der unerwartete Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober liegt zwar bereits 4 Wochen zurück, da dies aber die erste Stadtverordnetenversammlung seit diesem barbarischen Überfall ist, möchte und muss ich heute dazu etwas sagen:
Die Bilder, die uns aus Israel und dem Gazastreifen erreichen, machen sprachlos, fassungslos.
Die Bilder, die uns von deutschen Straßen erreichen, fordern uns viel ab.
Geschichtliche Fakten kommen insgesamt viel zu kurz:
Vor der Gründung Israels 1948 war das Heilige Land britisches Mandatsgebiet. Sowohl Juden als auch Araber lebten dort. Die Vereinten Nationen haben 1947 einen Teilungsplan in zwei Gebiete beschlossen, auf dessen Basis der Staat Israel gegründet wurde. Die Gründung eines arabischen Staates scheiterte an der Ablehnung der arabischen Seite, denn damit verbunden wäre gewesen die Anerkennung und das Existenzrecht des Staates Israel.
Im Rahmen des ersten Oslo-Abkommens von 1993 haben Israel und die palästinensische Autonomiebehörde ihr gegenseitiges Existenzrecht anerkannt.
Israel wurde seit seiner Unabhängigkeitserklärung von mehreren arabischen Nachbarstaaten immer wieder angegriffen.
Israel hat mit jedem Staat Frieden geschlossen, der dazu bereit war. 1978 mit Ägypten, 1994 mit Jordanien und 2020 schließlich mit Marokko, Sudan, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrein. Zuletzt näherten sich Israel und Saudi-Arabien an – ein Friedensabkommen schien plötzlich möglich. Der Angriff der Hamas auf Israel hat wahrscheinlich auch zum Ziel, Israels Friedensprozess mit Saudi-Arabien und anderen Ländern zu sabotieren.
Israel hat den Palästinensern mehrfach einen eigenen Staat angeboten. Bei den Camp-David-Verhandlungen unter Führung von US-Präsident Bill Clinton im Jahr 2000 war der damalige Palästinenser-Führer Jassir Arafat aber nicht bereit, von seinen Maximalforderungen abzurücken. Arafat wollte die vollständige Kontrolle über die Altstadt von Jerusalem mit der Klagemauer und dem Felsendom und ein absolutes Rückkehrrecht aller palästinensischen Flüchtlinge nach Israel erreichen. Weitere Gebiets-Zugeständnisse des damaligen israelischen Premierministers Ehud Barak schlug er aus.
Die Hamas wurde 1987 gegründet. Der Name steht für „Organisation des islamischen Widerstands“, bedeutet auf Arabisch aber auch „Eifer“ oder „Kampfgeist“. Die Hamas ging aus dem palästinensischen Zweig der fundamentalistischen Muslimbruderschaft hervor. Die Gruppe entstand in Opposition zu der kompromissbereiteren Fatah-Partei des langjährigen Palästinenser-Führers Jassir Arafat.
Die Hamas steht auf der Terrorliste der EU und der USA. Ihr erklärtes Ziel ist es, alle Juden im Heiligen Land zu töten oder zu vertreiben und somit letztendlich auch den Staat Israel zu vernichten.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat inzwischen die islamistische Palästinenserorganisation Hamas und das pro-palästinensische Netzwerk Samidoun in Deutschland verboten.
Die Hamas ermordet auch ihre palästinensischen Gegner. 2007 hat sie die Gewalt im Gazastreifen verfassungswidrig an sich gerissen. Frauen, Homosexuelle, Christen und Andersdenkende werden unterdrückt, verfolgt und auch ermordet. Seitdem gab es keine Wahlen mehr.
Allerdings ist die Hamas nicht nur Terror-, sondern auch Wohlfahrtsorganisation, außerdem der größte Arbeitgeber in Gaza. Sich ihr zu entziehen – für die Bevölkerung fast unmöglich.
Warum ich das hier erwähne?
Weil die Terrororganisation Hamas am 7. Oktober vom Gazastreifen aus einen Großangriff auf Israel startete:
Tanzende und feiernde junge Menschen wurden getötet und verschleppt, auch Frauen, Kinder, Alte und sogar Babys wurden Opfer eines unvorstellbaren Gewaltaktes.
Noch immer befinden sich über 200 Menschen als Geiseln in den Händen der Hamas.
Noch nie seit dem Ende der Shoah wurden so viele Jüdinnen und Juden ermordet.
Anne Frank schrieb in ihrem Tagebuch folgenden Satz:
„Einmal wird dieser schreckliche Krieg doch aufhören, einmal werden wir auch wieder Menschen und nicht allein Juden sein.“
Als wäre die Zeit stehen geblieben, als hätte sich die Welt nicht weiter gedreht…
Was seit dem 07. Oktober geschieht, entzieht sich jeder Vorstellungskraft:
Antisemitismus und anti-demokratische Aktionen gehören auf unseren Straßen plötzlich zum Alltag und die breite Masse schweigt dazu.
Die von der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken verabschiedete internationale Arbeitsdefinition von Antisemitismus liefert eine wertvolle Orientierung für die Diskussion:
Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.
In Deutschland leben ungefähr 200.000 Jüdinnen*Juden. Ihre Lebensrealitäten und Identitäten sind genauso vielfältig wie ihre Bezüge zu jüdischer Religion und zum Glauben.
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel erleben wir einen drastischen Anstieg antisemitischer Vorfälle, nicht nur in Deutschland.
2008 hat es die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede vor der Knesset klar formuliert:
Das Existenzrecht Israels ist deutsche Staatsräson und umfasst die ganze deutsche Gesellschaft – alle und jeden!
Wir müssen uns klarer denn je gegen jede Art von Antisemitismus stellen und äußern.
Gegen linken, rechten, religiösen, sozialen, politischen, rassistischen, sekundären und antizionistischen Antisemitismus.
In Deutschland darf dafür kein Platz sein.
Unsere Verantwortung aus der Geschichte existiert und ist real.
Sie muss für jeden gelten, der in diesem Land lebt.
Wenn sich Jüdinnen und Juden, Bürgerinnen und Bürger des Staates Israel in Deutschland nicht mehr sicher fühlen, beschämt mich das zutiefst!
Dazu zitiere ich Bundespräsident Frank Walter Steinmeier:
„Der Schutz jüdischen Lebens ist Staatsaufgabe – aber er ist auch Bürgerpflicht!
Ich bitte alle Menschen in unserem Land, diese Bürgerpflicht anzunehmen. Wir leben in einer Demokratie, ja; die Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind ein hohes Gut, ja. Aber Gewalt setzt unseren Freiheiten Grenzen. Antisemitische Volksverhetzung, Attacken auf jüdische Synagogen, Angriffe auf Polizisten sind keine Wahrnehmung von Freiheit. Es sind Straftaten. Ich erwarte von allen, wo immer sie stehen, diese Regeln für ein friedliches Zusammenleben zu respektieren.
Wir sind ein vielfältiges und weltoffenes Land – und wir wollen es bleiben. Seien wir uns einig in der Ablehnung von Terrorismus und Barbarei! Verurteilen wir gemeinsam jede Form von Antisemitismus und Rassismus! Zeigen wir, dass in Deutschland Menschen mit jüdischen, christlichen, muslimischen, arabischen Wurzeln friedlich zusammenleben können und das auch wollen! Das und nicht weniger ist von uns verlangt. Gerade jetzt, in diesen Tagen!“
Sie sehen, wir sind nicht nur gefordert, gegen Antisemitismus vorzugehen, sondern auch, für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten, die wir als viel zu selbstverständlich hinnehmen:
Wenn auf deutschen Straßen die Gewalt an Juden gefeiert wird, Israelische Fahnen brennen, Häuser mit dem Davidstern gekennzeichnet werden, Demonstranten die Einführung des Kalifats fordern und radikale Islamisten das Wort ergreifen, die laut Bundesverfassungsschutz die parlamentarische Demokratie ablehnen, nach der Anwendung der Scharia streben und die Vernichtung Israels erreichen wollen, dann kann ich das nicht ertragen. Die Verfasser unseres Grundgesetzes, die sich u.a. für die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit einsetzten, konnten sich das sicher nicht vorstellen…
Der Schriftsteller George Tabori sagte einst:
„Jeder ist jemand.“
In diesem Satz steckt eigentlich die ganze Menschlichkeit, die ganze Ethik, derer es für ein friedliches Zusammenleben von verschiedenen Menschen als Gleiche bedürfte. Jeder Mensch, egal, woher er kommt, was er glaubt, was er fühlt, wie er aussieht, was er will und was er braucht oder nicht kann, ist jemand. Und als dieser Jemand gehört er zu uns, ist er ein Teil dieses «Uns». Er ist zwar ein anderer, vielleicht auch ein Fremder, aber kein Ausgestoßener, sondern ein Zugehöriger.
Jeder ist jemand, der Respekt verdient.
Menschen gehören in keine Schubladen, denn nicht nur ich, sondern Sie alle, würden in eine der vielen denkbaren Schubladen passen:
DIE Christen, DIE Frauen, DIE Geflüchteten, DIE Homosexuellen, DIE Beeinträchtigten, Die, Die, Die.
Hass hat die Menschen noch nie weitergebracht, Hass zerstört uns.
Meine Damen und Herren,
uns eint der Wunsch nach Frieden für Israel, für Palästina und die ganze Nahostregion, und natürlich auch weiterhin für die Ukraine und alle Kriegsregionen dieser Welt.
Ich darf Sie bitten, im Gedenken an die getöteten und entführten Israelischen Opfer sowie die zivilen Opfer im Gazastreifen und alle Angehörigen einen Moment inne zu halten.
Ich danke Ihnen!
Mit einem weiteren Zitat von Anne Frank leite ich in unsere Tagesordnung über:
„Wie wunderbar es ist, dass niemand einen Moment warten muss, bevor er anfängt, die Welt zu verbessern.“